Festival der Marionette ® 2023



Endlich, endlich...

…und dann – endlich, endlich – war es so weit:

Nach zweimaligem Verschieben (2020 und 2021) und einer dramatisch erzwungenen Absage am Tag der geplanten Eröffnung (2022) ging Corona die Puste aus: Das 7. Pendel-Marionetten-Festival (neu Festival der Marionette®) konnte stattfinden!

Vom 19. bis 21. Mai belebten lauter zauberhafte Fadenwesen Säle und Flure, Foyer und Keller der Ländlichen Heimvolkshoch-schule Hohebuch bei Waldenburg. Und natürlich viele erleich-terte, erwartungsfrohe Menschen, die teilweise von weit her kamen und deren Begeisterung sich hinterher in Worten und leuchtenden Augen ausdrückte.

 Das zentrale Ereignis war die Premiere des seit Jahren erarbei-teten großen Spiels um unser globales Problem, den Klima-wandel.

«~°C+ Ein paar Grad plus – die Klimakonferenz». Da hat Corona sogar noch positiv mitgewirkt, denn in der langen Zwangspause ging die Arbeit an dem Theaterstück unvermindert weiter. Es entstanden immer noch neue Szenen, Bühnenbilder, Marionet-ten, die Geschichte wurde weiter verdichtet. Es gelang, die Gruppe von immerhin 15 Spieler*innen über alle Entfernungen hinweg zusammenzuhalten. Da das Ende der Maskenpflicht zu-nächst nicht abzusehen war, entstand zusätzlich eine professi-onelle Tonspur mit sehr guten Sprachergebnissen, was der Kon-zentration auf das reine Spiel überaus gut tat.

Und dann fieberten 15 Menschen und 84 Marionetten dem Au-genblick entgegen, in dem sich der Vorhang öffnete. – Welch ein Bild! Um die Wolkenkratzer von New York herum fahren Boote statt Autos. Der Freiheitsstatue steht das Wasser beinah bis zum Hals. Ein wütender Zug von Demonstranten fordert ein Ende der lebensbedrohenden Situation.

Genau darüber wird nun im UNO-Hauptgebäude die Klima-Konferenz beraten. Die Reporterin Janine Pfotenschnell und ihr Kameramann Eddi Behrmann vom ‹Sender Planet Earth Media› sollen über die Konferenz berichten, vorher aber noch einzelne Wissenschaftler und Politiker interviewen. Damit wird man nun Zeuge der gewissenlosen Einstellung der «Fachleute», ihrer ver-logenen Argumente, ihrer völligen Unbereitschaft, wirklich etwas zu ändern.

Nach jedem Interview stellt eine Spielszene die entsetzlichen Fol-gen dieses Denkens für die Betroffenen dar. Sowohl bei dem Re-porter-Team als auch bei den Zuschauern wird aus anfänglichem Erstaunen pure Fassungslosigkeit. Selbst bei den Spielern meldet sich immer wieder der verdächtige «Kloß im Hals».

Nach 1½ Stunden werden die Fachleute selbst Opfer ihres Ego-ismus – wie, das muss man gesehen haben. Dazu wird es Ende des Jahres eine wunderbare Möglichkeit geben, denn es entsteht sowohl ein originaler Spielfilm als auch ein Dokumentarfilm. Beides ist noch in Arbeit.

Was unbedingt noch erwähnenswert ist: Die unglaublich gute, exakte Zusammenarbeit der Gruppe – und das auf engstem Raum! Das Konzept des Stückes verlangt viele Umbauten der Bühne. Die gingen so reibungslos und schnell vonstatten, dass manche Zuschauer sagten, das hätten sie kaum gemerkt.

Ein Festival besteht aber nicht nur aus einem einzigen giganti-schen Theaterstück. Darum herum fanden kleinere und größere Spielszenen und umfangreiche Spiele statt, alle mit Pendel-Mari-onetten, dennoch alle ganz verschieden und individuell. Da kon-nten die Zuschauer aufatmen und sich wieder dem Entzücken hingeben.

In winzigen Szenen von wenigen Minuten wurden Märchen vor-gestellt bei der Taschenlampenführung im Keller.

In den Sälen gab es wunderbare Spiele:

 

Der Bär und das Licht zeigt einen niedlichen Bären, der sich alle Mühe gibt, eine Lichtkugel zu fangen. Umsonst. Erst ein Mensch hilft ihm, die begehrte Kugel in eine Kiste zu packen – aber Licht lässt sich nun mal nicht auf Dauer einfangen. (NoMa-Marionet-tentheater, Marita und Norbert Reinl, Mönchengladbach).

 

Koffergeschichte beginnt mit dem Bemühen eines Mannes, sei-nen Speicher aufzuräumen. Er wird von einer sehr resoluten Dame daran gehindert. Die nämlich verlangt, in einen alten Kof-fer hinein gelassen zu werden. Der Mann gibt endlich genervt nach, macht allerdings sofort den Deckel wieder zu. Nach hefti-gem Rumoren und Poltern erscheint die Dame – völlig verklei-det. Dieser olle Koffer enthält lauter alte Kleider und Perücken, eine nicht endende Freude für die Dame. Jedenfalls hat sie ge-siegt! (Wolfgang Gerbracht, Mönchengladbach)

 

Alois und Alwin sind eigentlich gute Freunde. Alois liebt seine Blumenwiese, worauf Alwin beim Rasenmähen aber keine Rück-sicht nimmt. Erst als er den verzweifelten Alois sieht, wird ihm das Unglück bewusst und er klebt die abgesäbelten Blumen schnell wieder an – mit Spucke! Freundschaft und gute Laune sind gerettet. (Best friends, Sabine Roth und Rafael Scheu, Reut-lingen)

 

Müssiö, der Elefant träumt davon, fliegen zu können. Da kommt ein Kranich und macht es ihm vor. Aus neidischem Zu-schauen wird erfüllte Sehnsucht – der Elefant fliegt. Tatsächlich! (Jaqueline Wohler, Basel und Detlef Schmelz, Hermuthausen)

 

Noblesse oblige, das beweist ein verarmter adliger Rabe. Sein teilweise französisches Jammern über verlorene Bedienung, mangelnde Speisen, fehlende Verehrung verwundert einen ordi-nären Raben aus dem nahen Wald. Immerhin findet der Abhilfe für den adligen Hunger, indem er einen großen Wurm ausbud-delt. Das ist zwar ein harter Absturz nach den gewohnten höfi-schen Menus, aber schließlich zieht der rettende Rabe als neuer «Diener» mit ein ins verlassene Adelsschloss, das ist das Ende der Einsamkeit. (Erdmute Krüger, Überlingen und Jens Steffen, Marburg)

 

Die vier Temperamente werden zunächst jeweils vorgestellt, dann mit einer Tuch-Marionette getanzt und schließlich mit einer Marionette gespielt zu den Texten von Frieder Nögge. Meister-haft und höchst amüsant dargestellt von Detlef Schmelz, Her-muthausen.

 

Das Wunschei ist dafür zuständig, echte Wünsche zu sammeln und auch zu erfüllen – irgendwann. Dafür jedenfalls sorgt der kleine Wunschei-Vogel Piri, der immer den wahren Hintergrund eines Wunsches erkennt. Wenn also die lispelnde Maus Friederi-ke sich kleinere Zähne wünscht, der zu klein geratene StanisLaus wiederum einen Drachen fordert zum Kampf gegen seine viel größeren Brüder, geht es doch eigentlich nur darum, anerkannt und geliebt zu werden. Und das schafft Piri wunderbar, zuletzt bringt sie den Beiden sogar ein Kindlein. Nur die Wünsche der langsamen Schnecke werden wortgetreu erfüllt, denn hinter denen steckt nichts anderes als Angst, und die ist verständlich. (Marionettentheater Zaubervogel, Edith Nikel, Bad Homburg)

 

Kinderleicht ist es eigentlich, ein Bärenvater zu werden. Aber das weiß der große Bär, der gerade aus dem Winterschlaf er-wacht ist, leider nicht. Alle möglichen Tiere geben ihm gute Rat-schläge, aber die sind alle unbrauchbar. Er verzweifelt – bis ihm ein munteres Bärenmädchen begegnet, das ganz genau weiß, wie es geht… (Blaue Bühne, Anne und Gernot Kunze, Marburg)

 

Bärenhunger habe ich leider nicht selbst gesehen. Aber begeis-terte Zuschauer und belustigte Kinder bewiesen, dass die beiden Spielerinnen großartig gespielt haben. (Katja Kleefeld, Meerbusch und Petra Kleefeld, Berlin)

 

Varenka und die Kraft des Vertrauens führt hochaktuell in eine Zeit von Krieg und Angst. Jeden Abend bittet Varenka Gott, er möge doch eine Mauer um ihr kleines Waldhaus bauen, weil die Soldaten hörbar immer näher kommen. Nichts geschieht. Und doch geschieht so viel, denn Varenka bleibt unermüdlich liebe-voll und hilfsbereit, nimmt fliehende heimatlos Gewordene auf und sorgt für die Waldtiere. Da schenkt ihr Gott zuletzt auch noch eine weiße Schutzmauer aus Schnee. Hier trägt das aufwän-dige Bühnenbild sehr zum Genuss des Spiels bei. (Ruhpoldinger Fadenspiel, Marile und Rainer Browarzyk-Späth, Ulrike Browarzyk, Ruhpolding)

 

Der kleine Muck mag gar keine Menschen. Warum? Weil sie ihn nur auslachen. Jetzt sind viele Menschen da und damit die ihn nicht auch wieder verspotten, erzählt er seine spannende Ge-schichte. Und das in Form von Schattenspielen. Eine kunstvolle Bereicherung des Marionetten-Programms. Das Hauff-Märchen wird dargestellt von Daniel Clénin, Bern.

 

Die Geschichten ohne Worte haben viele von uns schon oft ge-sehen. Vielleicht aber noch nie mit solcher Inbrunst und wirk-licher Magie. Paulchen und sein kleiner Autonfall – Ottos gemei-ne Rache an der Blume bloß, weil er den Schmetterling nicht fan-gen kann – der rasend tanzende Feuerteufel – die sanfte Musik der Flötenvögel – die Hexe, die lernen muss, ohne Besen zu flie-gen – der heldenhafte Halbdrache, der auf seinem Boote hoff-nungslos seekrank wird – die komplizierte Annäherung von Paulchen und Pauline – der zauberhafte Tanz der Ballerina – die absolut grandiose Geschichte des Raben Hans Huckebein – und dann die so poetische Hommage an den Clown Pic aus dem Zir-kus Roncalli… Die Zuschauer wagten kaum zu klatschen. Das war total verzaubernd, ganz ohne Worte. (PendelMarionetten-Theater, Marlene Gmelin und Detlef Schmelz, Hermuthausen)

 

Farbenfreude erzählt die Geschichte vom kleinen Gelb und klei-nen Blau, die vor lauter Gemeinsamkeit und Liebe grün werden. Wobei auch andere Farben mitspielen, alle mit Tuchmarionetten wunderschön gespielt. (Best friends, Reutlingen, dazu noch Bettina Scharf, Pommelsbronn und Birgitta Götzelmann-Liebig, Königshofen)

 

Das Wannenboot bringt ein Knabe in Fahrt, vergisst auch nicht, die Fahne aufzustecken. Man glaubt ihm die Fahrt, denn er ru-dert eifrig, während es der Bach ist, der sich bewegt. (Marile Browarzyk-Späth und Ulrike Browarzyk, Ruhpolding)

 

Der kleine Bär Waldemar. Kann ein Hase fliegen? Tanz zu sanften Weisen: Kleine beglückende Spiele von NoMa-Marionettentheater Marita und Norbert Reinl und Bettina Scharf.

 

Und wem das alles noch nicht genügte, der konnte in einem ex-tra Raum sechs Filme des PendelMarionettenTheaters bewun-dern.

Derweil tummelten sich im Foyer etliche Marionetten mit sehr originellen Fahrzeugen und baten um Spenden, denn es wurde offiziell kein Eintrittsgeld erhoben. Ein Drehorgelspieler tat sein Bestes, die beschwingte Freude zu verstärken.

Es war ein rundum gelungenes wundervolles Fest, das nun hof-fentlich wieder alle 2 Jahre stattfinden wird.                Edith Nikel